Schlagwort-Archive: Sexismus

Die Grenzen des Sagbaren

Von Anatol Stefanowitsch

Am 8. Mai 2018 habe ich anlässlich des 85. Jahrestages der Bücherver­bren­nung im Lit­er­aturhaus Berlin einen Vor­trag über die „Gren­zen des Sag­baren“ gehal­ten. Der Mitschnitt zu diesem Vor­trag ist nun auf Sound­cloud zum Nach­hören verfügbar.

Das Netz kann alles, außer Gender

Von Anatol Stefanowitsch

In den ver­gan­genen Tagen hat das Netz, wie man so schön sagt, viel gelacht, und zwar über einen Text der Fach­schaft Gen­der Stud­ies an der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin. In dem Text, den Sie zum Ver­ständ­nis des Fol­gen­den kurz lesen soll­ten, falls Sie ihn noch nicht ken­nen, geht es um den Auss­chluss eines Mit­glieds der Fach­schaft auf­grund eines Kon­flik­ts, in dem es unter anderem um ras­sis­tis­che Äußerun­gen und Geschlecht­si­den­titäten ging. Der Text ist darüber hin­aus in ein­er (rel­a­tiv abgemilderten) Ver­sion ein­er Sprach­va­ri­etät abge­fasst, wie sie von ein­er bes­timmten Rich­tung der Gen­der Stud­ies und der Crit­i­cal White­ness Stud­ies ver­wen­det wird, und die u.a. durch geschlecht­sneu­trale For­mulierun­gen (z.B. durch die Ver­wen­dung von Unter­strichen) und durch explizite Ver­weise auf Kat­e­gorien gekennze­ich­net ist, die sich grob als „Geschlecht­si­den­tität/-zuschrei­bung“ und „eth­nis­che Identität/Zuschreibung“ charak­ter­isieren lassen.

Der Text ist aus zwei ver­schiede­nen Per­spek­tiv­en kri­tisiert und/oder belacht wor­den: erstens aus ein­er inhaltlichen, in Bezug auf den berichteten Vor­fall und den Umgang der Fach­schaft mit diesem; zweit­ens aus ein­er for­malen, in Bezug auf die eben erwäh­nte Sprach­va­ri­etät. Weit­er­lesen

Das Weib, das Anna, das Merkel: Wie neutral sind Frauen?

Von Damaris Nübling

Die Frau, die Mut­ter, die Nonne – der Mann, der Vater, der Mönch: dass fast alle Beze­ich­nun­gen für Frauen auch gram­ma­tisch Fem­i­ni­na und die für Män­ner gram­ma­tisch Maskuli­na sind, dürfte kein Zufall sein. Das gram­ma­tis­che Geschlecht (man beze­ich­net es auch als »Genus«) scheint etwas mit dem biol­o­gis­chen oder sozialen Geschlecht (»Sexus« bzw. »Gen­der«) zu tun zu haben. Das hat neg­a­tive Kon­se­quen­zen für das sog. gener­ische Maskulinum: Weil gram­ma­tis­che Maskuli­na im Deutschen kog­ni­tiv so eng mit dem männlichen Geschlecht ver­bun­den sind, sind sie ungeeignet dazu, gle­icher­maßen auf Män­ner und auf Frauen Bezug zu nehmen. ((Das zeigen alle Unter­suchun­gen zum The­ma, eine davon wird hier vorgestellt.))

Herr – Frau – Fräulein …

Sucht man nach Wörtern, die dieses sog. Genus-Sexus-Prinzip »ver­let­zen«, stößt man dahin­ter auf Per­so­n­en, die den üblichen Rol­len­er­wartun­gen nicht nachkom­men, z.B. auf schwule Män­ner (die Memme, die Schwuch­tel, die Tunte) und auf sich »zu« männlich gerierende Frauen (der Vamp, der Drache). Für nicht rol­lenkon­forme Frauen wird jedoch noch öfter etwas anderes gewählt, und zwar das dritte Genus, das Neu­trum. Es enthält (im Ver­gle­ich zu den bei­den anderen Gen­era) mit Abstand die wenig­sten Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen, scheint also tat­säch­lich eine Art »säch­lich­es« Genus zu sein.

In diesem Beitrag stelle ich Ihnen zunächst einige inter­es­sante Forschungsergeb­nisse zum Sta­tus der Neu­tra im deutschen Sprach­sys­tem vor — sie sind näm­lich kaum wert­neu­tral auf erwach­sene Men­schen anwend­bar und ballen sich beson­ders dort, wo man schlecht über Frauen spricht. Wenn Sie aber zum Beispiel von der Mosel, aus der Eifel oder dem Hun­srück kom­men, ken­nen Sie vielle­icht ganz alltägliche, neu­tral gemeinte Wörter für Frauen: Die Ruf­na­men. Da schreibt das Sabine dem Franziska eine SMS, weil das Han­na ihm etwas mit­brin­gen soll, und abw­er­tend ist das nicht gemeint. Benutzt man das Neu­trum allerd­ings für Fam­i­li­en­na­men von Frauen, die mächtig sind, poli­tisch eine große Rolle spie­len, bekommt es einen ganz anderen Beik­lang: Über das Merkel lässt sich nicht ohne böse Absicht sprechen. Wie kommt es, dass Neu­tra ein­er­seits so neg­a­tiv, ander­er­seits aber neu­tral oder gar pos­i­tiv auf Frauen bezo­gen wer­den kön­nen? Bei­des lässt sich auf eine gemein­same Erk­lärung zurück­führen, die in unseren Gesellschaftsstruk­turen wurzelt.

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Begattungsängste und homophobe Etymologie

Von Anatol Stefanowitsch

Argu­mente gegen die Öff­nung der Ehe für homo­sex­uelle Paare lassen sich am Ende immer auf eine einzige Behaup­tung reduzieren: Die Ehe diene der Zeu­gung von Kindern und da homo­sex­uelle Paare keine Kinder zeu­gen kön­nen, könne man die Ehe für sie keines­falls öffnen.

Dieses Argu­ment hat eine offen­sichtliche Schwäche: Die Zeu­gung von Kindern ist ein­er­seits auch ohne Ehe möglich und ander­er­seits auch in der Ehe nicht zwingend.

Auf diese Schwäche wer­den die Bewahrer der Het­ero-Ehe immer wieder hingewiesen, aber statt auf diese Hin­weise einzuge­hen, denken sie sich immer neue Begrün­dun­gen dafür aus, warum Ehe und die Zeu­gung von Kindern gegen alle Evi­denz doch untrennbar miteinan­der ver­bun­den sind. Da wird dann die Reli­gion bemüht, oder die Evo­lu­tion, oder die Tra­di­tion, oder die Per­ver­sion. Haupt­sache, es endet auf -ion, scheinen die Homo­phoben zu denken.

Nicht so der Jour­nal­ist Gün­ther Lach­mann, der jüngst im Deutsch­land­funk erk­lären durfte, warum Ehe und die Zeu­gung von Kindern ein und das­selbe sind. Er bemühte keine -ion, son­dern eine -ie: die Ety­molo­gie, also die Lehre von der Herkun­ft und Entwick­lung von Wörtern. Weit­er­lesen

Geschlechtergerechte Sprache und Lebensentscheidungen

Von Anatol Stefanowitsch

Das soge­nan­nte „gener­ische“ Maskulinum und die Tat­sache, dass es nicht wirk­lich gener­isch ist, haben wir im Sprachlog ja schon des Öfteren disku­tiert. Eine inter­es­sante neue Studie bietet einen Anlass dazu, das The­ma wieder ein­mal aufzugreifen.

Im Deutschen hat jedes Sub­stan­tiv ein gram­ma­tis­ches Geschlecht: Maskulinum (z.B. der Stuhl, der Dill), Fem­i­ninum (z.B. die Bank, die Peter­silie) und Neu­trum (z.B. das Sofa, das Schnit­t­lauchdas Basi­likum). Das gram­ma­tis­che Geschlecht ist dabei nicht völ­lig beliebig verteilt (ein The­ma für einen anderen Tag), aber es hat nichts mit dem biologischen/sozialen Geschlecht der beze­ich­neten Dinge zu tun (Sitzgele­gen­heit­en und Küchenkräuter sind ja wed­er männlich, noch weib­lich, son­dern besten­falls alle sächlich).

Das ist anders bei Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen: Hier kor­re­liert das gram­ma­tis­che Geschlecht bis auf wenige Aus­nah­men (z.B. Men­sch, Per­son) mit dem biologischen/sozialen Geschlecht des beze­ich­neten Indi­vidu­ums: Mann, Brud­er, Mönch und Knecht sind z.B. gram­ma­tisch maskulin und biologisch/sozial männlich, Frau, Schwest­er, Nonne und Magd sind dage­gen gram­ma­tisch fem­i­nin und biologisch/sozial weib­lich. Bei den meis­ten Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen kommt dazu, dass die weib­liche Form durch die Nach­silbe -in aus der männlichen Form abgeleit­et ist: der Chefdie Chefin, der Polizistdie Polizistin, der Bäck­erdie Bäck­erin. Weit­er­lesen

Passive Prinzessinnen, oder: Die Grammatik der Geburt

Von Anatol Stefanowitsch

Als königliche Fam­i­lie hast du es ja nicht leicht: du hast nichts Vernün­ftiges gel­ernt und bist auf den Job deshalb drin­gend angewiesen, und den Job hast du halt nur, solange du den Leuten einre­den kannst, dass du etwas beson­deres bist. Deshalb hängst du in Palästen ab, läuf­st mit Kro­ne und Zepter durch die Gegend und sprichst und schreib­st, als ob du sprach­lich aus der Zeit gefall­en bist und dir dabei ordentlich den Kopf gestoßen hast.

Wenn zum Beispiel eine dein­er Prinzessin­nen ihr zweites Kind bekommt, dann schreib­st du in der Pressemel­dung nicht ein­fach so einen schö­nen aktiv­en Satz wie The Duchess of Cam­bridge has giv­en birth to her sec­ond child, in dem du klar zum Aus­druck bringst, wer hier etwas geleis­tet hat (die Duchess), und was es war (ein Kind gebären). So etwas schreibt vielle­icht eine gewöhn­liche Zeitung, und so etwas würde jed­er nor­male Men­sch (sprich: Unter­tan) sagen. Aber als Königshaus fab­rizierst du stattdessen fol­gen­den Satz:

Her Roy­al High­ness The Duchess of Cam­bridge was safe­ly deliv­ered of a daugh­ter at 8.34am. [Pressemel­dung des Britis­chen Königshaus­es, auch per Twit­ter.

Die Pas­sivkon­struk­tion was deliv­ered of a daugh­ter klingt gediegen alt­modisch und damit very roy­al – und sie hat den Vorteil, dass ihre ex-bürg­er­liche königliche Hoheit, die Gräfin von Cam­bridge, als eher unbeteiligt an der ganzen Sache dargestellt wird. Sie hat kein Kind zur Welt gebracht, son­dern sie ist (wörtlich über­set­zt) „von einem Kind befre­it wor­den“. Das passt erstens gut dazu, dass die einge­heiratete (und im Fall der Fälle jed­erzeit entsorg­bare) Gräfin ja eigentlich nur als vorüberge­hen­des Gefäß für das waschechte, in der Thron­folge immer­hin an viert­er Stelle ste­hende Königskind gedi­ent hat, und zweit­ens dazu, dass Frauen sich bei Geburten sowieso nicht immer so in den Vorder­grund drän­gen sollen. Weit­er­lesen

Das Binnen‑I ist der Demokratie ihr Tod

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn ich mit Büch­ern, Spie­len und Fernsehsendun­gen zur deutschen Sprache berühmt gewor­den wäre, ohne beson­ders viel von der deutschen Sprache zu ver­ste­hen; wenn ich dann einen offe­nen Brief von ein paar öster­re­ichis­chen Reak­tionären mitun­terze­ich­net hätte, in dem die fordern, sprach­lichen Sex­is­mus zur Norm zu machen; wenn mich dann die Wiener Zeitung fra­gen würde, warum ich das getan habe, dann würde ich antworten, dass ein „ange­se­hen­er Wiener Autor“ mich in einem „höflichen, for­mvol­len­de­ten Stil“ darum gebeten habe (man würde ver­ste­hen, dass ich ange­se­henen Autoren nichts abschla­gen kann, und dass etwas, das höflich und for­mvol­len­det for­muliert ist, nicht falsch sein kann). Weit­er­lesen

Die fünf Freunde und die Rückkehr zur sprachlichen Normalität

Von Anatol Stefanowitsch

Öster­re­ich ist ja, nach eigen­er Aus­sage, die Heimat großer Söhne – so groß, dass für große Töchter neben ihnen kaum noch Platz ist. Aber nicht nur das – es ist auch das Land der Berge, das Land am Strome, das Land der Äck­er, das Land der Dome – und das Land der Häm­mer. Und einen beson­ders großen Ham­mer haben 650 Expert/innen für die psy­cholin­guis­tis­che Ver­ar­beitung männlich­er Pronomen und Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen, äh, nein, für die, äh, nein, für die Struk­tur und Bedeu­tung der deutschen Gegen­wartssprache – nein, ich fange noch mal an. Weit­er­lesen

Hochmut großer Söhne

Von Anatol Stefanowitsch

Am Text der öster­re­ichis­chen Nation­al­hymne find­et sich, wie es bei Tex­ten von Nation­al­hym­nen nun ein­mal so ist, wenig Erhal­tenswertes. Sie feiert die Land­schaft (gut, das ist ger­ade noch erträglich), das „für das Schöne beg­nadete“ und mit „hoher Sendung“ aus­ges­tat­tete Volk (das ist dann eben, nation­al­hym­nen­typ­isch, nicht mehr erträglich), die kriegerische Ver­gan­gen­heit, und eine „arbeits­fro­he“ Zukun­ft. Und natür­lich wird dem „Vater­land“ auch ordentlich Treue geschworen.

Kann von mir aus alles weg, zusam­men mit dem „God save the Queen“, dem „land of the free and … home of the brave“, dem „Россия — священная наша держава“, dem „Einigkeit und Recht und Frei­heit“ und all den anderen Din­gen, die sich Natio­nen in ihren Hym­nen so zusam­men­phan­tasieren. Weit­er­lesen

Der Name der Windrose

Von Anatol Stefanowitsch

Dass Frauen sys­tem­a­tisch unter­schätzt wer­den, ist ja nichts Neues, aber dass Orkane unter­schätzt wer­den, wenn sie weib­liche Namen haben, klingt zunächst wie ein schlechter Scherz aus der Rumpelka­m­mer des Patriarchats.

Genau das haben amerikanis­che Forscher/innen aber her­aus­ge­fun­den. In der in den Pro­ceed­ings of the Nation­al Acad­e­my of Sci­ence erschiene­nen Studie „Female hur­ri­canes are dead­lier than male hur­ri­canes“ [PDF, Bezahlschranke] stellt das Team um den Dok­toran­den Kiju Jung von der Uni­ver­si­ty of Illi­nois at Urbana Cham­paign zunächst die Ergeb­nisse ein­er Archivs­tudie vor, für die sie alle atlantis­chen Orkane aus­gew­ertet haben, die zwis­chen 1950 und 2012 auf das nor­damerikanis­che Fes­t­land getrof­fen sind. Sie fan­den her­aus, dass starke Orkane mit weib­lichen Namen sig­nifikant mehr Todes­opfer fordern als solche mit männlichen Namen – und das, obwohl sie die beson­ders starken Stürme Audrey (1957, 416 Tote) und Kat­ri­na (2005, 1833 Tote) vor­sicht­shal­ber unberück­sichtigt ließen. Weit­er­lesen